Begegnung am Radio
der Blumenladen, U-Bahnsteig Möckernbrücke
Zwischendurchbloggen von Wolf Klein
Wie ich fast "Berliner des Tages" geworden wäre
In Berlin gibt es drei Dutzend Radiosender, die alle eine "ausgewogene Musikmischung" spielen, und durch witzige Wortbeiträge gute Laune verbreiten. Letzte Woche rief eine Frau von einem dieser Sender bei mir an. "Guten Tag Herr Klein, wir haben gehört, Sie betreiben einen Blumenladen mit Fotos. Das ist ja sehr interessant. Wir haben da so eine Rubrik "Berliner des Tages‚, da würden wir Sie gerne vorstellen. Hätten Sie denn dazu Lust?"
"Ja, sehr gerne", sagte ich.
"Ich weiß nicht, ob Sie die Sendung kennen?"
"Nein, leider nicht", sagte ich.
Wir verabredeten, dass die Moderatorin am Montagmorgen bei mir anriefe, um mit mir am Telefon ein Interview zu führen, das aufgezeichnet würde und am selben Vormittag ausgestrahlt werden sollte. Am Freitag rief eine Frau an und sagte, ich könne nun leider doch nicht am Montag "Berliner des Tages" werden, sie wollten es aber auf jeden Fall machen. Sie würden am Montag anrufen, dann könnten wir einen Termin vereinbaren. Am Montag rief eine Frau an und sagte: "Wir würden Sie gerne am Mittwoch zum "Berliner des Tages" küren." Wir verabredeten, dass die Moderatorin mich am Mittwochmorgen anriefe, um mit mir am Telefon ein Interview zu führen. Ich habe heute Morgen eine Stunde vorm Telefon gesessen. Es hat mich niemand angerufen.
Ich habe die Zeit genutzt, und mir im Internet die "Berliner des Tages" der vergangenen Tage angesehen. Ein Mann, der auf eigene Initiative den Verein "Berliner Freunde exotischer Vögel e.V." gegründet hat; eine Rentnerin, die eine Stiftung für Klavierspieler gegründet hat; ein Erfinder, der einen Automaten gebaut hat, der Bierbüchsen öffnen und das Bier in ein Glas einschenken kann, sobald das Telefon klingelt; ein Pfeifenraucher; ein Sozialpädagoge; eine Frau mit einem mobilen Krankenzimmer auf ihrem Fahrrad; eine Rentnerin, die Kinder spielerisch an das Thema Tierschutz heranführt; ein Redaktionsleiter einer Straßenzeitung; ein Lehrer, der mit seiner Schulklasse alte Handys einsammelt; und ein Schauspieler, der seinen Prominentenstatus bewusst dafür einsetzt, um sich für Kulturprojekte in Berlin stark zu machen.
Wie ich dann doch noch "Berliner des Tages" geworden bin
"Herr Klein, es tut mir ja so leid. Das ist total schief gelaufen. Es tut mir so leid. Wir machen es gleich morgen, ja? Ich kann Sie ja so gut verstehen. Und ich kann mich nur dafür entschuldigen. Das tut mir so leid. Wir wollen Sie unbedingt haben."
Hätte ich dieser mitfühlenden, zarten Frauenstimme am Telefon sagen sollen: "Ich will nicht. Nein. Ich will auf gar keinen Fall. Sucht euch andere für den "Freak des Tages"." Hätte ich das sagen sollen? Ja! Das hätte ich! Und das habe ich auch. Zumindest am Anfang. Später habe ich dann gesagt: "Na gut, versuchen wir's halt morgen nochmal."
Das haben wir dann getan, und uns fröhlich in die Belanglosigkeit geplaudert. Und jetzt stehe ich mit dem Blumenladen in einer Reihe mit dem Herrn, der auf eigene Initiative den Verein "Berliner Freunde exotischer Vögel e.V." gegründet hat.
("Begegnungen am Blumenladen" sind Begegnungen des Blumenhändlers Wolf Klein. Sie erscheinen als Kolumne in Balkon & Garten und zwischendruch als Zwischendurchbloggen in diesem Blog.
2 Kommentare:
Schöne Geschichte :)
Und dieser Blumenladen :-))
"Der Mensch besteht aus Knochen, Fleisch, Blut, Speichel, Zellen und Eitelkeit." - Kurt Tucholsky, Schnipsel
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